Regeneration

Interview mit Lutz Graumann 

Den Begriff Regeneration kennt man v.a. aus dem Bereich des Leistungssports. Wer viel Sport macht, muss sich auch regenerieren. Doch auch für Menschen, die viel am Schreibtisch sitzen, ist Regeneration eine essentielle Maßnahme, um den Arbeitsalltag gesund zu überstehen und Stressphasen gut zu bewältigen. Dr. Lutz Graumann erklärt in unserem Experteninterview, wie Regeneration funktioniert.

Dr. Lutz Graumann ist Sportmediziner aus Leidenschaft und beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Menschen nachhaltig leistungsfähig bleiben. Hierzu bietet er in seiner eigenen Praxis verschiedene Check Ups und Coachings an (www.sportmedizin-rosenheim.de).

Dr. Graumann, Sie sind Experte für Leistungsfähigkeit und Regeneration. Was bedeutet eigentlich Regeneration und warum ist es besonders auch für Vielsitzer, die v.a. mentale und psychische Leistung erbringen müssen, wichtig?

Mitarbeiter in Firmen führen die unterschiedlichsten Tätigkeiten mit stark variierenden körperlichen oder mentalen Beanspruchungen aus und dennoch haben alle Zellen im Körper ähnliche metabolische Bedürfnisse. Das Aufrechterhalten einer konstanten inneren Umgebung, indem Zellen mit dem versorgt werden, was zum Überleben benötigt wird (Sauerstoff, Wasser und Nährstoffe). Zudem muss auch der Abtransport von Abfallprodukten organisiert sein. Alle diese Prozesse Funktionieren nur dann gut, wenn wir einen ständigen Wechsel zwischen Aktivierung und Regeneration haben. Unser menschlicher Körper funktioniert nur innerhalb von engen Grenzen wirklich sehr gut. Das beste Beispiel hierfür ist unsere Körpertemperatur. Sobald unsere Körpertemperatur nur um 1° nach oben oder nach unten von der Norm abweicht (Das sind weniger als 3 %) ist unsere mentale und körperliche Leistungsfähigkeit dramatisch eingeschränkt.

Das heißt, unser Körper ist ständig bestrebt dieses Fließgleichgewicht aufrechtzuerhalten und zu beschützen.

Unter Regeneration verstehe ich alle Prozesse, die unseren Körper wieder fit machen für die nächste Phase der Beanspruchung.

  1. Wiederauffüllen der Energiespeicher (Glykogen)
  2. Wiederauffüllen der verlorenen Mineralstoffe und Wasser
  3. Regulation des pH-Wertes und der Entzündungsreaktionen
  4. Regulation der Körpertemperatur
  5. Ausschüttung an Sexual- und Wachstumshormone (damit wir nicht nur auf das Ausgangsniveau der Leistung zurückkehren, sondern sogar mit der Zeit besser oder robuster werden)
  6. Abtransport und Ausscheidung (Entgiftung) von Stoffwechselprodukten oder aufgenommenen Substanzen

Die meisten dieser Prozesse sind vielen Menschen geläufig. Weniger bekannt und häufig nicht gänzlich verstanden, sind die entzündlichen Prozesse infolge einer intensiven körperlichen oder auch mentalen Beanspruchung.  Regeneration ist nicht passiv, sondern es werden aktiv und zielgerichtet Bedürfnisse aufgearbeitet, um wieder einen energievollen Zustand herzustellen.

Wir sollten also nach jedem Tag bestimmte Regenerationsmaßnahmen durchführen?

Idealerweise machen alle Mitarbeiter nicht nur am Ende des Tages irgendeine Form von aktiver oder passiver Regeneration. Vielmehr sollten sich die Mitarbeiter angewöhnen, alle 50-60 Minuten eine kurze aktive Pause in ihrem Arbeitsalltag einzuplanen, denn i.d.R ist die Arbeitsbelastung nicht wie bei einem Marathonläufer, sondern eher wie bei einem Sprinter.

Es ist möglich in kürzester Zeit ein hohes Maß der Erholung zu erreichen, aber nur wenn man sich in diesen wenigen Minuten tatsächlich ganz der Erholung widmet. Es reicht schon, wenn die Mitarbeiter kurz einmal aufstehen, einen kleinen Schluck Wasser trinken und sich zudem ganz kurz die Beine vertreten. Allein diese kurze aktive Pause führen dazu, dass ihre Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit in der nächsten Stunde wieder deutlich höher ist.

Es reicht also einfach während des Arbeitstages kurze Erholungspausen zu machen, um Stress und Erschöpfung vorzubeugen?

Dies ist leider nur bedingt richtig. Kurze „Zwischen-Pausen“ sind dafür gedacht, um die Arbeitsleistung zu stabilisieren und Fehler zu vermeiden sowie den Regenerationsbedarf am Ende eines anstrengenden Tages nicht ins unermessliche steigen zu lassen. Wer jedoch am nächsten Tag wieder mit vollem Akku starten will, sollte nicht darauf bauen, dass dies allein mit 4-5 Stunden Schlaf funktioniert. Vielleicht greift der Vergleich: Mini-Pausen sind wie der Snack zwischendurch, während das „Regenerationstool“, das man am Feierabend einbaut, den großen Hunger stillt. Und damit der Akku nachhaltig am nächsten Morgen wieder aufgeladen ist, müssen mindestens 6 und noch besser 7,5 Stunden gut geschlafen werden.

Wie schafft man es bei all den Anforderungen, Erwartungen und v.a. trotz des begrenzten Zeitbudgets noch ein zeitaufwendiges Regenerationsprogramm einzubauen?

Man muss sich ein gewisses Maß an Selbstbestimmung über den eigenen Energietank einfordern, um den Anforderungen der Umwelt nicht ausgeliefert zu sein. Dazu gehört es schon bei dem Befüllen des Terminkalenders auch Regenerationspausen (als eine Art Termin mit sich selbst) bewusst im Tagesablauf miteinzuplanen. Nach einiger Zeit wird dieser Termin wie ein Selbstläufer ganz selbstverständlich dazu gehören.

Welche Tools (Strategien) funktionieren aus Ihrer Erfahrung besonders gut?

Es gibt viele verschiedene Ansätze und Technologien, Regeneration, Stress und Schlaf zu bestimmen:

  1. Bewegungssensoren in Wearables (fitbit, etc.)
  2. Puls-Brustgurte (Garmin, etc.)
  3. Langzeit-EKGs mit Accelerometern (Nambaya, etc.)
  4. Optische „photo-pletysmographische“ Sensoren (Smartphone)
  5. Piezoelektrische elektromechanische Streifen (EmfitQS, etc.)
  6. Laborparameter (Cortisol, Testosteron, CK, CRP, etc.)
  7. Fragebögen

Es existieren sehr viele Gadgets auf dem Markt, die dem Endverbraucher eine pseudowissenschaftliche Genauigkeit vorgeben, da die Auswertungen unglaublich toll und genau aussehen. Überprüft und hinterfragt man deren Ergebnisse, bleibt oftmals nicht mehr viel von deren Aussagekraft übrig. Vor allem empfinde ich die Wearables als nur bedingt geeignet, um unseren Mitarbeitern eine sinnvolle Standortbestimmung zu ermöglichen.

Unser autonomes Nervensystem, welches durch den Anteil des Parasympathikus die Regeneration steuert, wird durch den Herzschlag in Form der Herzratenvariabilität (HRV), der Atmung und der Kopplung dieser beiden Systeme am wenigsten invasiv dargestellt. Wearables und die optischen Sensoren liefern hier oftmals keine zufriedenstellenden Ergebnisse, da sie diese Parameter nicht mit einer ausreichenden Genauigkeit durch mathematische Formeln wiedergeben können.

Auch die klassischen Pulsgurte sind oftmals ebenso ungeeignet, da die Abtastrate des Herzschlags in der Regel zu gering ist. Die Pulsgurte sammeln die Daten mit einer Frequenz von 60Hz. Um aber ein halbwegs genaues Bild der HRV zu bekommen, benötigen wir jedoch mindestens 250Hz oder noch besser 500Hz. Die piezoelektrischen Streifen, die wir mittlerweile sogar unter unsere Matratzen legen können, werden zwar immer genauer, aber eignen sich meiner Erfahrung nach auch nicht für die erste Standortbestimmung, jedoch sehr gut zur Verlaufskontrolle, da sie nicht invasiv sind und von den Athleten als überhaupt nicht störend empfunden werden. Was verrückt klingt, ist Realität. Wir können den Herzschlag und die Atmung durch die Matratze hindurch messen. Die Hersteller versprechen oftmals, dass die Messstreifen die HRV bestimmen können, aber meines Erachtens, eignet sich diese Messmethode nicht dafür. Allerdings können die Sensoren recht exakt die Bewegungen und Unruhe während des Schlafs aufzeichnen. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil dieser Geräte ist, dass wir als Ärzte und Betreuer aus der Ferne in die Schlafdaten unserer Klienten einsehen können.

Um einen praktikablen Einstieg in das Schlafmonitoring zu ermöglichen, finde ich es nach wie vor als eine der besten Lösungen, einfach ein Schlaftagebuch zu führen. Dort sollte festgehalten werden, wann ich ins Bett gegangen, wann ich aufgestanden bin und wie erholt ich in den kommenden Tag gestartet bin (auf einer Skala von 1-10). Schon diese einfachen Aussagen zur Schlafqualität und Quantität, ermöglichen eine Standortbestimmung und erlauben die Analyse welche Routinen und Strategien des Alltags zu einer guten Erholung während der Nacht führen.