WORUM ES HIER GEHT

Ein Arbeitsmeeting: Die Besprechung zieht sich in die Länge, da erwähnt eine Kollegin: „Ich muss heute pünktlich raus. Ich habe noch einen Termin bei meinem Psychotherapeuten.“.

Eine Gruppe Freunde verbringt ein gemeinsames Wochenende beim Wandern: Während des gemeinsamen Abendessens auf der Hütte zieht Erik eine Medikamentenschachtel aus der Tasche und spült eine Pille mit einem Schluck Wasser hinunter. Auf die scherzhafte Frage: „Musst du dich schon dopen?“ antwortet er: „Nein, aber ich habe vor ein paar Wochen eine Antidepressiva-Behandlung begonnen. Mit dem Arzt habe ich besprochen, die Pille alle zwei Tage zu nehmen. Mir geht es inzwischen deutlich besser.“

Ein Vorstellungsgespräch: Die Bewerberin bittet darum, in Teilzeit zu arbeiten: „Mein Mann leidet an einer Angststörung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es uns beiden viel besser geht, wenn wir nur Teilzeit arbeiten und stattdessen mehr Zeit miteinander verbringen können. Wir machen das jetzt seit zwei Jahren so und es geht ihm so gut, dass er seit zwei Jahren keine Panikattacke mehr hatte.”

Eine Geburtstagsfeier: Ein junger Mann bemerkt den Blick eines anderen Gasts auf die Narbe an seinem Handgelenk und sagt: „Ja das sieht wild aus, nicht? Ich hatte vor einigen Jahren mit einer Borderline Erkrankung zu kämpfen und einen Suizidversuch unternommen. Glücklicherweise bin ich damals an die richtige Hilfe geraten.“

Kommen Ihnen diese Geschichten seltsam vor? Was meinen Sie, woran das liegt? Klingt ungewöhnlich, unrealistisch, undenkbar? Können Sie sich erklären, warum das so ist?

Wir können einige Erklärungsansätze finden, welche die Unsicherheit, Scham und die damit verbundene Tabuisierung psychischer Störungen nachvollziehbar machen. Grundsätzlich begegnen wir allem, was nicht sichtbar ist und nicht rational erklärbar scheint mit Skepsis. Solange es keine körperlichen Beeinträchtigungen oder biochemischen Marker (wie z.B. Blutwerte) gibt, ist alles „Psychische“ für uns schwer (be-)greifbar. Hinzu kommt der Einfluss der Medien. „Psychos“ und „Psychopaten“ werden als verrückt, unzurechnungsfähig oder gewalttägig dargestellt und in eine „Irrenanstalt“ gesteckt. Selbst wenn wir, als reflektierte, aufgeklärte Menschen, den Filmen und Romanen keine große Glaubwürdigkeit zusprechen, so sind es doch unbewusste Einflüsse, die das Verständnis bzw. die Assoziationen mit dem Begriff „Psyche“ geprägt haben und dadurch zu einer Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen geführt hat.  Dieses Stigma verstärkt das Leiden betroffener Personen immens. Hilfemöglichkeiten bleiben ungenutzt.

Das Wort Stigma kommt aus dem Griechischen und bedeutet “Wundmal”. Stigmatisierung heißt also wörtlich, jemandem “Wundmale zuzufügen” oder ihn zu “brandmarken”. Im heutigen Sprachgebrauch kennzeichnet es eine Auffälligkeit, ein Anderssein, ein von der Norm abweichen. Häufig wird ein bestimmtes Merkmal (z.B. an einer Depression erkrankt zu sein) mit einer negativen Eigenschaft oder einem Vorurteil (z.B. ist faul) verknüpft. Es vereinfacht die Realität und nimmt Unsicherheit – für die Betroffenen bedeutet es aber Abwertung und Ausgrenzung.

Mehr psychische Erkrankungen – ein Phänomen der heutigen Gesellschaft?

Man kommt schnell zu der Annahme, dass das Auftreten psychischer Störungen in den letzten Jahren stark angestiegen ist. Schließlich ist es mittlerweile der zweithäufigste Krankheitsgrund in Deutschland. Eine zunehmende Sensibilität, Aufklärung und Bereitschaft, über mentale Gesundheit und Erkrankungen zu reden, trifft auf die Verbreitungskraft sozialer Medien, die dies ermöglichen.  Und diese Entwicklung darf weitergehen! Denn nur, wenn wir hinschauen und darüber sprechen, können wir einen gesunden Umgang damit finden, Betroffene zu unterstützen und effektive Früherkennung sowie Prävention zu betreiben!

Die meisten von uns wissen wenig über psychische Erkrankungen und den richtigen Umgang damit. Aufklärung ist wichtig. Wir müssen uns nicht alle zu Experten ausbilden. Es reicht, wenn wir unser Wissen reflektiert auf Mythen und Halbwahrheiten hin überprüfen. Damit können wir nicht nur unbewusste stigmatisierende Einstellungen und Verhaltensweisen aufdecken, sondern können dem Thema und den betroffenen Personen mit mehr Sicherheit und Selbstverständlichkeit begegnen.

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